Beiträge April bis Juni 1998 |
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Vorgestriges Müsli-Denken |
In unserem ersten Beitrag geht es um den Frankfurter Flughafen. Der Bundesverkehrsminister hat gestern [05.04.1998] in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung verbreiten lassen, daß es bald 100.000, nicht tausend, nicht 10.000, sondern 100.000 neue Jobs an deutschen Flughäfen geben könnte, wenn ... ja man nicht mit vorgestrigem Müsli-Denken an die Sache drangehen würde, sondern einfach die Chancen sehen. "Die Chancen sehen", das hören wir überall, ob es die Globalisierung ist oder vielleicht sogar die Selbstständigkeit, die Arbeitslosen angedient wird. Nein, hier geht es um den Frankfurter Flughafen. Und das ewiggestrige Müslidenken ist wahrscheinlich das, was uns begegnet, wenn wir selber in Arheilgen auf dem Feld stehen und auf einmal brettert da einer über uns. Ich denke, da gibt es einige Ortschaften und Stadtteile, die vom Fluglärm schon jetzt besonders betroffen sind. Und 100.000 neue Jobs heißt ja auch mehr Flugbewegungen und natürlich mehr Lärm. Aber das ist ewiggestrig, wenn man darüber lamentiert. Der andere Punkt ist natürlich der, wozu brauchen wir so viele Flugbewegungen? Wer fliegt da eigentlich? Wenn man sich das einmal ganz genau überlegt, was da abgeht, dann ist das eine eigentlich ökologische Katastrophe. Die ökologische Katastrophe besteht darin, daß nicht nur jede Menge Flugsprit verbraten wird, sondern daß viele dieser Flüge absolut unnötig sind. Unnötig sind die meisten Geschäftsreiseflüge, unnötig sind auch sehr viele Urlaubsflüge, die vielleicht auch mit ganz anderen Verkehrsmitteln, zum Beispiel der Bahn, machbar wären, wenn man die Bahn entsprechend ausbauen würde, anstatt sie sukzessive zurückzubauen und nur noch ein paar Hochgeschwindigkeitstrassen übrigzubehalten. Nun ja, alles ewiggestrig, wenn man meint, das müsse nicht so sein, wie Herr Wissmann das will. Die Chance ist nämlich, der bedeutendste kontinentale Flughafen Europas zu bleiben; und dafür muß man schließlich alles tun. Dafür darf man ruhig ein paar Wälder abholzen, dafür darf man neue Verkehrswege erschließen, weil neue Flughafengebäude und neue Fahrgaststeige heißen natürlich auch neue Zufahrtswege, neue Straßen, noch mehr Autoverkehr, der einfach unnötig ist. Und da hilft es auch nicht, wenn die Bahn dann einen ICE-Bahnhof am Flughafen einrichtet. Weil, der ist sowieso nicht für die normale Kundschaft gedacht. ICEs sind erstens teuer und zweitens dem männlichen Geschäftsreiseverkehr besonders vorbehalten. Wenn man Fahrgastzählungen im ICE macht, wird man erstaunliches feststellen. Zum Beispiel in der Ersten Klasse wird man feststellen, daß da vor allen Dingen Männer drin sind, zu über 90% align=center Männer drin sind, die nochmal besonders bedient werden. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Ersten Klasse ist nämlich rapide schlechter als das der Zweiten Klasse. Trotzdem ist die Bahn lieber auf den Geschäftsreiseverkehr angewiesen. Nun ja, soviel erstmal zum Frankfurter Flughafen. |
Rechte Parteien |
Nun, Verfassungsschützer müßten nicht nur rechtsradikale Verlage, sondern auch rechte bis rechtsradikale Parteien etwas genauer überwachen. Ob sie das tun und ob das in ihrem Interesse ist, ist eine ganz andere Frage. Weil Rechts ist ja in diesem Land eine durchaus beliebte Ideologie, wie rechts auch immer. Es gibt ja durchaus die Möglichkeit, genauer zu untersuchen, wie rechts auch ganz normale staatstragende Parteien sind, wenn sie law and order zum Beispiel zu ihrem Programm machen, wie die SPD im letzten Jahr bei der Bürgerschaftswahl. Aber über rechte bis rechtsradikale Parteien wird es eine Veranstaltung, eine Informationsveranstaltung geben. Und zwar am nächsten Mittwoch, dem 8. April, um 18 Uhr in der Oetinger Villa. Und zwar macht dies das Antifaschistische Jugendbündnis Darmstadt. Die Oetinger Villa ist in der Kranichsteiner Straße 81. Und es wird nicht nur informiert über diese Parteien, sondern auch das, was man - und die Bundestagswahlen stehen ja vor der Tür - was man also in diesem Zusammenhang vielleicht unternehmen kann, um rechtsradikale Ideologien ... um denen die Straße nicht zu überlassen. |
Pharmaindustrie |
In unserem ersten Beitrag will ich aus aktuellem Anlaß auf die Pharmaindustrie eingehen. Am morgigen Donnerstag findet in Köln die Hauptversammlung des BAYER-Konzerns statt. Wie bei vielen anderen Konzernen auch, werden dort kritische Aktionäre oder deren Vertreterinnen und Vertreter das Wort ergreifen. Einer dieser Vertreter ist Todd Smith aus den USA. Er hat heute, einen Tag zuvor, dem Vorstandsvorsitzenden von BAYER, Dr. Manfred Schneider, ein Schreiben übergeben. Anhand seiner mit dem BAYER-Konzern verbundenen Lebensgeschichte stellt er darin einige kritische Fragen. Todd Smith ist Bluter. Seine Krankheit wurde mit Medikamenten, genauser gesagt, mit Blutplasma der Firma BAYER behandelt, das mit dem AIDS-Virus infiziert war. Seit 1982 war bekannt, daß AIDS über das Blut verbreitet wird. Seit Jahrzehnten gibt es Verfahren, um das Blutplasma von Viren zu befreien. Aber zwischen 1980 und 1984 wurden diese Verfahren aus Kostengründen nicht für die Bluterpräparate eingesetzt. Die Menge des verwendbaren und logischerweise auch verkaufbaren Plasmas hätte sich durch das technische Verfahren auf ein Viertel reduziert. Der Vorwurf von Todd Smith an die Firma BAYER lautet dementsprechend, daß der Konzern aus Profitgründen den Tod von Tausenden Blutern zu verantworten hat. 1985 brachte BAYER endlich behandelte Blutprodukte auf den Markt. Dennoch wurden schon hergestellte und unbehandelte Produkte weiterhin verkauft. BAYER empfahl sogar den Zwischenhändlern, zunächst die unbehandelten Produkte zu verkaufen. Als die US-amerikanische Bundesgesundheitsbehörde den Verkauf der unbehandelten Produkte untersagte, wurden die restlichen dieser Produkte in Entwicklungsländern wie Costa Rica verkauft. Auch bei Entschädigungszahlungen mißt der BAYER-Konzern Menschenleben unterschiedlichen Wert bei. In den USA zahlte BAYER den Betroffenen ein Zehntel des Betrages, den der Konzern in Japan zu zahlen bereit war. Todd Smith wird als Vertreter der Coordination gegen BAYER-Gefahren e.V. an der morgigen Hauptversammlung teilnehmen. Ob er dort auf sein Schreiben, in dem er seine Vorwürfe auflistet, eine Antwort erhält, bleibt abzuwarten. Entschuldigt hat sich BAYER für diesen unglaublichen Vorgang ihm gegenüber bis heute jedenfalls nicht. BAYER ist allerdings nicht der einzige Pharmakonzern, dessen Produkte eingesetzt werden, obwohl schädliche, gar tödliche Nebenwirkungen bekannt sind. Peter Eckert beschreibt in seinem gerade herausgekommenen Buch Das Pharmakartell, wie und in welchem Ausmaß den Konzernen ihre Profite wichtiger sind als die Sicherheit von Patientinnen und Patienten. Peter Eckert war mehr als zwanzig Jahre als leitender bzw. als Chefarzt für Chirurgie tätig. Von 1989 bis 1996 arbeitete er selsbt bei der BAYER AG in der Forschung. Als einem Insider erhalten seine Aussagen besonderes Gewicht. Peter Eckert beschreibt auch den von Todd Smith erwähnten Fall. Er macht deutlich, daß hier nicht nur eine bewußt betriebene Geschäftspolitik eines Pharmakonzerns zugrunde liegt, sondern daß Aufsichtsbehörden und Krankenkassen in eklatanter Weise geschlafen oder gemauert haben. Das behandelte Blutplasma war den gesetzlichen Krankenkassen Anfang der 80er Jahre schlicht zu teuer, weswegen sie sich weigerten, das sichere Produkt zu bezahlen. Wie es um die Arzneimittelsicherheit bestellt ist, dazu schreibt Peter Eckert folgendes: »Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker.« Dieser Standardsatz, vom Gesetzgeber als juristisches Feigenblatt zur Irreführung der Bevölkerung und zum Schutze der Produkthaftung für Unternehmer eingeführt, soll dem Normalverbraucher Sicherheit suggerieren. Ebensogut kann man ihn weglassen. Denn wie sicher man sein kann, zeigen die immer wieder bekannt werdenden Skandale und Skandälchen und, schlimmer noch, die unzähligen unbekannten Risiken und Zwischenfälle in Kliniken und Arztpraxen. Ob es sich um den Diätpillenskandal von 1995 oder den laxen Umgang deutscher Behörden mit toxikologisch bedenklichen Verbindungen in Arzneien und Nahrungsmitteln handelt, überall stößt man auf Mängel der Produktsicherheit und eine geradezu frevelhafte behördliche Duldung schädlicher Substanzen. Die Gesetze enthalten wunderschöne Vorgaben und Regelungen, nur in der Praxis wird von jenen Forderungen kaum etwas umgesetzt. Und die meisten Ärzte denken selten oder überhaupt nicht daran, sich die von ihnen verschriebenen Produkte im Hinblick auf Risiken und Begleitwirkungen anzusehen. [...] Woher soll ein Arzt, der wöchentlich mehrere unterschiedliche Präparate verordnet, auch nur annähernd alle Risiken kennen? Die Warnungen in den Beipackzetteln sind juristisch abgefaßte Risikoabwehrmaßnahmen. Mit den kaum lesbaren oder nur ungenau beschriebenen Begleitwirkungen können selbst Fachärzte nur ungenügend umgehen. Nur im Ausnahmefall gelingt es Geschädigten, dem Hersteller nachzuweisen, daß jener das Risiko kannte, es der Behörde aber nicht zur Kenntnis gebracht oder es unterlassen hatte, davor zu warnen. Umgekehrt kann dem Verbraucher oft nachgewiesen werden, daß er von den Empfehlungen zur Einnahme des Medikaments abgewichen war. In der Regel geht der geschädigte Verbraucher bei Schadensersatzforderungen leer aus. Gegen ihn steht eine gut organisierte Phalanx von Gutachtern und eine überforderte Gerichtsbarkeit. So kommt es, daß Straftaten besonders im Zusammenhang mit der Produkthaftung meist ungesühnt bleiben. [Peter Eckert : Das Pharmakartell, Seite 165-166] Peter Eckert zeigt anhand einiger Beispiele, wie mangelnde Kontrolle durch das Bundesgesundheitsamt, gekaufte und damit gefälschte und wertlose Gutachten, Verleugnungsstrategien der Pharmakonzerne und ärztliche Standesorganisationen Hand in Hand arbeiten. Das Ergebnis ist erschütternd. Nach dem Stand der Forschung sind etwa vier Fünftel aller im Handel erhältliche Arzneimittel schlicht wirkungslos oder sogar gefährlich, mitunter lebensgefährlich. Allerdings will ich hier keine Panikmache betreiben. Es kann nicht darum gehen, Ärzte und Medizin in Bausch und Bogen zu verdammen. Wichtiger ist, darüber aufzuklären, welche Arzneimittel notwendig und vertretbar sind. Und wenn hier die Pharmakonzerne mauern, so muß dies dennoch eingefordert werden. Peter Eckert schätzt, daß zu einer sinnvollen Gesundheitsversorgung etwa 5.000 Medikamente vollauf ausreichen - der Rest ist Sondermüll. Er legt aber auch dar, daß es hierzulande - im Gegensatz zu den USA - keine wirkungsvolle Kontrollbehörde gibt. Es kann ja nicht sein, daß Profite wichtiger sind als Menschenleben, auch wenn wir dies als Begleiterscheinung der kapitalistischen Marktwirtschaft tagtäglich - und nicht nur in der Pharmaindustrie - erleben. Es gibt aber noch einen weiteren interessanten Zusammenhang: die Kosten im Gesundheitswesen steigen trotz gesetzlicher Vorgaben munter weiter; die erhöhten Kosten werden über Zuzahlungen umverteilt. 1997 machten die drei größten deutschen Chemie- und Pharmakonzerne entsprechend hohe Gewinne. Vor Abzug der Steuern erwirtschaftete BASF 5,3 Milliarden Mark, Bayer 5,1 Milliarden und Hoechst 3,2 Milliarden, 2 Milliarden weniger als noch im Jahr zuvor. Und wer wird sich ein solch ertragreiches Geschäft schon gerne verderben lassen? Das Buch von Peter Eckert heißt Das Pharmakartell. Es ist im VSA-Verlag erschienen und kostet 34 Mark 80. Dies war ein Beitrag von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. |
Spreng-Prozeß |
Vor dem Jugendgericht am Amtsgericht Darmstadt fand heute ein Prozeß gegen den Stadtverordneten von Bündnis 90/Die GRÜNEN, Bastian Ripper, statt. Ihm wurde die Störung der öffentlichen Ordnung durch das Androhen von Straftaten vorgeworfen. Von mehreren Straftaten war im Prozeß jedoch keine Rede, die Anklage war bombastischer als die Realität. Jugendrichter Klaus Martin sprach in seinem Urteil eine Verwarnung, verbunden mit einer Geldbuße von 500 Mark zugunsten einer gemeinnützigen Vereinigung aus. Am morgigen Samstag werden wir erfahren, was das Darmstädter Echo daraus macht. In seiner ... man muß es inzwischen Hetze nennen ... gegen Bastian Ripper kennt es ja keine Grenzen von Anstand und Wahrheit mehr. In dem Prozeß ging es um eine Aktion der darmstädter
StadtpiratInnen während des Anti- Eine ähnliche Aktion hatten die StadtpiratInnen ein Jahr zuvor in Darmstadt veranstaltet. Um mögliche Bedenken zu zerstreuen, fand sich Bastian Ripper aus dem Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Sommercamps bereit, der Polizei telefonisch ausdrücklich die Harmlosigkeit des Ganzen zu versichern. Hätte er dies nicht getan, stünde er heute nicht vor Gericht. Abgeurteilt wurde er also nur, weil er deeskalierend auf die Polizei einwirken wollte. Wie die als Zeugen vernommenen Beamten bestätigten, wurde auch kein Alarm ausgerufen, sondern routinemäßig der Sicherheitsaufwand leicht erhöht. Das alles hätte die Staatsanwaltschaft dazu bringen müssen, das von ihr angestrengte Verfahren mangels Masse einzustellen. Das Sprengen des Gleises mit Wasser fand tatsächlich statt, ohne daß irgendwer geschädigt oder gar verletzt wurde. Die Polizei war immer über den Ablauf der Aktion informiert und mußte daher nicht eingreifen. Aber Strafrecht ist mehr als nur ein Mittel zur Verfolgung von Straftaten. Es kann auch zur Disziplinierung politisch anders Denkender und Handelnder genutzt werden. Die Paragraphen, richtig angewandt, geben so ziemlich jede Verurteilungsmöglichkeit her. Zumal es sich hierbei um die Person Bastian Ripper handelt, gegen den mehrere, zum Teil ähnlich gewichtige, oder sollte ich nicht vielmehr sagen: schwachsinnige, Verfahren laufen. Zudem bemüht sich das Darmstädter Echo mit Hilfe eines Teils der GRÜNEN mit lauteren und weniger lauteren Mitteln darum, ihn politisch und persönlich kaltzustellen. Entsprechend argumentierte Staatsanwalt Balß. Wo keine Straftat war, konstruierte er aus den Tiefen des Paragraphendschungels eine herbei. Rechtsanwalt Rehn wies jedoch richtig darauf hin, daß der öffentliche Frieden juristisch gesehen nur dann gestört sei, wenn das Vertrauen der Bevölkerung in das Rechtssystem durch eine solche Androhung gestört gewesen sei. Dies könne ja ernsthaft niemand behaupten. Ich könnte hinzufügen, daß eine derartige Verschwendung von Steuergeldern wesentlich eher zum Vertrauensschwund gegenüber der Justiz beiträgt. Richter Martin begründete sein Urteil damit, daß es unerheblich sei, wie die Aktion gemeint gewesen sei. Entscheidend sei, daß die Zeitungen sie als "brisant" hätten auffassen können. Mit der Androhung eines gemeingefährlichen Verbrechens, nämlich mit Gießkannen Gleise zu sprengen - man beachte bitte die Dimension des Vorwurfs! -, sei der öffentliche Frieden gestört worden. Von einer härteren Strafe werde abgesehen, da die Aktion, wie er sagte, infantile Züge trage. Staatsanwalt Balß und Jugendrichter Martin waren ohnehin während des zweistündigen Prozesses darum bemüht, einerseits die Verwerflichkeit des Tuns hervorzuheben, andererseits dieses der Lächerlichkeit preiszugeben. Jugendliche sind eben nicht ernst zu nehmen. Gestandene Männer haben andere Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen. Jugendliche müssen bei einem faktischen Pressemonopol eben nach spektakulären Wegen suchen, um Gehör zu finden. Für mich ergibt sich daraus zwingend, daß ich die darmstädter Justiz zukünftig an ihrem Verhalten in diesem Prozeß messen werde. Ich bin schon jetzt sehr gespannt, ob und wie es ihr gelingt, das Verfahren gegen den Polizeibeamten einzustellen, der im November letzten Jahres einen wehrlosen am Boden liegenden 16-jährigen mit seiner Stabtaschenlampe zweifach geschlagen hat. Es handelt sich hierbei um Körperverletzung im Amt. Nach sechs Monaten wurde bislang nicht einmal der von den Schlägen Betroffene vernommen. Es scheint eben wichtigere und politisch opportunere Verfahren zu geben. Dies war ein Kommentar zum heutigen Prozeß gegen Bastian Ripper von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. |
Verdammt ohne Urteil |
1940. Deutsche Truppen überfallen Belgien, um die französische Verteidigungslinien zu umgehen. Die Belgier nehmen alle Deutschen und Österreicher, Exilanten und Spione, Jüdinnen und Juden, fest. Sie werden in ein Sammellager gesteckt, dann in einen Zug mit Viehwaggons verladen. Die Waggons sind mit Aufschriften wie "Deutsche Schweine" und "Fünfte Kolonne" bemalt. Einmal macht der Zug halt. Einige nationalistische Belgier stecken zwei der Waggons in Brand. 45 Menschen verbrennen. Zehn Tage später erreicht der Zug ein Lager in Frankreich. Aber die
Wehrmacht rückt weiter vor. Die deutsch- Es ist Herbst 1943. Als klar wird, daß die Deutschen auch die Gegend um Nizza besetzten werden, flieht die Gruppe von etwa 1200 Menschen, Alten und Kindern, Männern und Frauen, über die Grenze nach Italien. Hier glauben sie sich sicher. Aber die SS folgt ihnen und verlangt von den Italienern die Auslieferung. 1000 Menschen, eingepfercht in Viehwaggons, werden auf eine lange Reise
geschickt, nach Auschwitz. Die Arbeitsfähigen werden ins Lager gebracht,
die übrigen vergast. Bert Linder schildert den Überlebenskampf, aber
auch die Solidarität einzelner Gefangener. Als die Rote Armee kurz vor
Auschwitz steht, werden die Gefangenen erneut deportiert. Zum Schluß
landen sie in Bergen- Was hier wie eine lange Aufzählung klingt, ist in Wahrheit eine autobiographische Schilderung eines dieser Gefangenen. Bert Linder stammt aus Wien, war Sozialdemokrat. Und als solcher nimmt er am Leben und am Überlebenskampf teil. Immer solidarisch und immer mit einem Blick für Unrecht und Gerechtigkeit. Und es sind die Details, die sein Buch spannend zu Lesen machen; und so manches wird erst durch seine Erzählung aus der Vergessenheit geholt. Die Erinnerungen von Bert Linder heißen Verdammt ohne Urteil, sie sind im österreichischen Styria Verlag erschienen und kosten 48 Mark. |
Test Stadtatlanten |
Gab es früher nur Stadtpläne und überalterte
Generalstabskarten, so finden immer mehr sogenannte Stadtatlanten Verbreitung,
die in den Ballungsräumen der Bundesrepublik Orientierung geben sollen.
Ich wollte wissen, wie gut sie wirklich sind und unterzog sie daher einem Test. Vor
allem wollte ich wissen, wie gut sie für die nichtmotorisierten
Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer sind. Um dies herauszufinden, schrieb
ich an mehrere Verlage und bat sie um die neuesten Ausgaben ihrer regionalen
Stadtatlanten. Rückmeldungen kamen vom Falk- Um es vorwegzunehmen: wie zu befürchten und in einer Automobilgesellschaft auch nicht anders zu erwarten war, sind alle derartigen Karten auf den motorisierten Individualverkehr zugeschnitten. Manchmal konnte man fast den Eindruck gewinnen, als wären Hinweise auf den öffentlichen Nahverkehr eine Zumutung. Dennoch erstaunte mich, daß gerade die Karten des ADAC Testsieger wurden; jedoch ist hinzuzufügen, daß keiner der Verlage auch nur die Hälfte der möglichen Punktzahl erreichen konnte. Das sollte den Kartenherstellern zu denken geben. Aber es könnte noch einen anderen Grund dafür geben. Das
Kartenmaterial ist in Bezug auf Straßen im allgemeinen gut und brauchbar,
hier scheint also die Quellenlage einfach zu erhalten zu sein. Wenn es aber darum
geht, neuere Entwicklungen aufzunehmen, die nicht mit dem Straßenverkehr
zu tun haben, dann tun sich alle Kartenanbieter schwer. Das wäre
nämlich Arbeit, sich die Informationen zu verschaffen; und es ist
natürlich eine Kostenfrage. Aber ärgerlich wird es dann eben, wenn das
Sozialamt immer noch im Groß- TEST 1 : Im ersten von fünf Tests wollte ich wissen:
Von den für den ersten Test möglichen 13 Punkten erhielt Meki daher 6, Falk 7 und der ADAC 8 Punkte. Mager. TEST 2 : Im zweiten Test ging es mir um die Darstellung des öffentlichen Personennahverkehrs. Auch wenn die Kartographen wohl davon ausgehen, daß jeder und jede einen PKW besitzt, so ist die Realität doch eine andere. Entsprechend auch das Ergebnis: von 24 möglichen Punkten konnte MeKi gerade einen einzigen ergattern, Falk und ADAC derer je 9. Waren meine Kriterien zu ansprunsvoll? Oder wirklichkeitsfremd? Nun, ich wollte nur folgendes wissen:
TEST 3 : Im dritten Test fragte ich schon ganz
verschüchtert nach Rad- oder Wanderwegen. Hinweise auf ein Radwegnetz
in den Innenstädten wären nun wirklich sinnvoll. Ihr ahnt es schon:
absolute Fehlanzeige. Konnten ADAC und Falk wenigstens noch Park- Nur - wir leben nicht mehr in den autobesessenen 60er oder 70er Jahren. Aber die Verlage und ihre Kartographen haben wohl eine ganze Entwicklung schlicht verpennt. Punkte gab's also keine. Aber ich wollte den Verlagen eine Chance geben. Die Viktoriastraße
führt bekanntlich von der Landwehr- zur Kasionstraße. Die letzten Meter
sind für Autos nicht benutzbar, das heißt also, von der
Viktoriastraße kann frau nicht mit dem Auto in die Kasinostraße
einfahren, mit dem Fahrrad - ganz vorsichtig - schon. Diese
Tatsache stellte die Verlage vor fast unlösbare Probleme. Nach dem Motto,
wo kein Auto, auch keine Straße, unterschlug der ADAC komplett und der
Falk-Plan im vergrößerten Innenstadtteil, daß es eben doch einen
kleinen Fußweg gibt. Der MeKi- TEST 4 : Im vorletzten Test wollte ich dann wissen, ob wenigstens die essentials stimmen. Sollte frau ja eigentlich erwarten können. Sollte; aber hört selbst. Davon, daß die Nordumgehung von Mörfelden eröffnet werden
sollte, hatten die Verlage zwar gehört; aber ein Eröffnungsdatum fehlt.
Daß Bickenbach eine neue Umgehungsstraße ins Industriegebiet
erhalten hat und dafür der Bahnübergang am Bahnhof geschlossen
wird, das hat sich hingegen nicht bis in die Verlage herumgesprochen. Der MeKi- Zur Verkehrsberuhigung gibt es in Darmstadt Poller. Ich wollte wissen, ob der
Poller in der Landwehrstraße und der am Café Chaos richtig
eingezeichnet sind. Nur im Plan des MeKi- Angaben über Postämter oder öffentliche Gebäude
gehören zum Standard- Nett wäre es, wenn das Kernkraftwerk Biblis auch als solches verzeichnet
wäre. MeKi bildet es erst gar nicht ab und Falk schreibt einfach nur
"Elektrizitätswerk". Etwas mager. Im ADAC- Dafür haben MeKi und Falk gewisse Probleme damit, daß vor einigen Jahren die Bezeichnungen der Autobahnausfahrten in Rüsselsheim verändert wurden. Weitere Pannen erspare ich uns. Als Ergebnis bleibt für den vierten Test festzuhalten, daß von 24 möglichen Punkten MeKi 9, Falk 7 und der ADAC 12 erhalten konnte. TEST 5 : Kommen wir zum letzten Test. Hier ging es mir um den Kartenservice; oder anders gefragt: was für nützliche Zusatzinformationen gibt es? Der ADAC- Werbung finde ich überflüssig, erst recht im Kartenteil. Wenn sie
wenigstens hinten im Anhang versteckt ist, dann könnte ich sie als ein
notwendiges Übel hinnehmen. Denn die Werbung macht die Stadtatlanten
erschwinglich. So kosten die Stadtatlanten des ADAC und des Falk- Den einzigen Originalitätspunkt aller Tests, den ich vergeben konnte,
holte sich der Falk- Den Test klar gewonnen haben die Pläne des ADAC: von 96
möglichen Punkten holten sie 41, das ist nicht einmal die Hälfte. In der
Schule wäre das eine glatte 5! Die Falk- Der Test verschiedener Stadtatlanten für die Regionen rund um Darmstadt erfolgte von Walter Kuhl für Radio Darmstadt. |
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